Im Alten Testament wird erzählt, dass Lot mit seiner Familie fliehen muss (wieder mal eine Fluchtgeschichte! Aber das nur in Klammern…). Gott will die Stadt Sodom zerstören, weil die Bewohner es gar zu schrecklich treiben, aber Lot ist ein Gerechter und soll verschont bleiben. Er will gar nicht gehen und muss von mehreren Männern (Engeln?) mehr oder weniger gewaltsam vor die Stadt gebracht werden, bevor Feuer und Schwefel fallen können. Eine etwas merkwürdige Geschichte (Buch Genesis, Kapitel 19).
Jedenfalls sagen diese Engel ausdrücklich: „Sieh dich nicht um, bleib nicht stehen, rette dich in die Berge!“ Und es kommt, wie es kommen muss: als die Stadt zerstört wird, hält sich Lots Frau nicht an das Gebot. Sie wirft einen Blick zurück – und erstarrt zur Salzsäule.
Damit sind wir endgültig bei den märchenhaften Motiven angekommen. Diese Geschichte will auch gar kein historischer Bericht sein – dennoch ist sie mehr als nur ein Märchen. Wer sich mal näher mit den ältesten Schriften unserer Bibel beschäftigt – was wirklich faszinierend ist, aber hier leider zu weit führen würde – der erkennt, dass sie vor allem tiefe Glaubensaussagen über Gott, den Menschen und die Beziehung zwischen beiden machen. Es kann gut sein, dass es die Stadt Sodom wirklich gab und dass sie durch ein Erdbeben zerstört wurde. Wesentlich ist aber, wie die Menschen dies gedeutet haben.
Heute ist Silvester, und da interessiert mich von dieser Geschichte vor allem der lebenswichtige Satz: „Sieh dich nicht um!“
Im Moment sehen alle zurück, lassen das alte Jahr noch einmal Revue passieren, erinnern sich. Ist das falsch?
Lots Frau hat der Rückblick das Leben gekostet. Will Gott uns also gedächtnis- und geschichtslos? – Nein! So kann es nicht gemeint sein!
Viel eher kommt es mir vor, als sei das Erstarren zur Salzsäule nicht die Strafe Gottes, sondern die unmittelbare Folge der Rückschau. Lots Frau blickt zurück und kann sich nicht von ihrer Vergangenheit lösen. Dann hätte Gott ihr nicht gedroht, sondern sie vor den negativen Folgen einer unbedachten Tat gewarnt: „Sieh dich nicht um und bleib nicht stehen!“ Das entspräche jedenfalls mehr dem Gott, den ich in meinem Leben erfahre. Das entspricht auch der bethanischen Spiritualität: Ja, du hast eine Vergangenheit. Egal ob sie schön oder weniger schön ist: verharre nicht darin. Gott nimmt dich, wie du heute bist.
Wenn wir heute noch einmal zurückschauen, lachend oder weinend, dann ist das sicher gut und richtig. Aber wir sollten wissen: Gott fordert uns auf, weiterzugehen. Und er geht mit.
Kommen Sie gut in das Neue Jahr!