Was in diesen Tagen in der Türkei passiert, verfolge ich mehr oder weniger fassungslos. Wirklich überrascht bin ich allerdings nicht.
Nicht dass ich hellseherisch begabt oder eine geniale politische Analytikerin wäre – nichts weniger als das. Ich weiß über Herrn Erdogan auch nur, was alle wissen. Aber schon seit langem hege ich eine tiefe Abneigung gegen ihn – und zwar eine sehr persönliche.
Die Türkei war für mich immer ein Hoffnungszeichen, ein Vorzeigestaat. Sie war das beste Mittel gegen den „Islamischen Staat“. Denn die Türkei war ein islamisch geprägtes Land, aber mit dem Anspruch, eben kein islamischer Staat zu sein, sondern den Staat von der Religion zu trennen. Das war mein großes Beispiel in allen Debatten um die Frage, ob der Islam und die Aufklärung unserer modernen Gesellschaften zusammenpassen: „Es geht doch!“
Dann kam Herr Erdogan und mit ihm scheint diese Idee zu verschwinden. Seine Töchter hat er im Ausland studieren lassen – an den türkischen Unis hätten sie kein Kopftuch tragen dürfen. Zuerst fand ich das nur ein kurioses Beispiel für den real existierenden Laizismus. Jetzt sehe ich mit zunehmender Beklemmung, wie viele Türken Erdogan auf seinem Weg folgen, denen der moderne Islam offenbar nicht gefällt.
Ich bin ein großer Freund der Demokratie. Wenn das Volk auf die Straße geht (wie jetzt in Istanbul und Ankara), dann muss man das ernst nehmen. Allerdings können geschickte Politiker ihre Wähler auch täuschen und verführen, sogar Mehrheiten sind manipulierbar. Das deutsche Volk kann davon ein Lied singen.
Letztlich messe ich eine Regierung oder ein politisches System immer daran, wie sie mit denen umgehen, die anderer Meinung sind. Das wird uns in diesen Tagen deutlich gezeigt: gestern wurden die türkischen Schulen und Hochschulen sozusagen systematisch durchsucht – und es geht längst nicht mehr um die Putschisten.
Zur gleichen Zeit passierte dort etwas, das mich persönlich betrifft, und das mir wie ein Sinnbild für diese gesamte Entwicklung vorkommt: Ich war von einem Physiker zu einer Reise nach Istanbul eingeladen worden. Er wollte an einem Kongress teilnehmen und nicht gerne alleine fahren. Aus verschiedenen Gründen konnte und wollte ich die Einladung nicht annehmen, obwohl es mir schon leid tat, diese Stadt zu verpassen und ihn alleine fahren zu lassen. Dann kam der Putsch und ich fing an, auf ihn einzureden, er solle die Tagung absagen. In ein Land, in dem Panzer rollen, fliegt man nicht, auch nicht um der Wissenschaft willen! Doch so einfach scheint das nicht zu sein, wenn man einen Vortrag zu halten hat, in dem ja eine Menge Arbeit steckt. Vielleicht würde sich die Lage ja bald wieder beruhigen…?
Gestern wurde die Konferenz abgesagt. Eine internationale, naturwissenschaftliche Tagung mit 5.000 Teilnehmern. Die Vorbereitungen liefen seit zwei Jahren – umsonst.
Wo ein Machthaber mit Gewalt seine Gegner mundtot macht, da haben das freie Denken und der offene, internationale Austausch eben keinen Platz.