„Du vertraust doch wohl nicht der Presse?“
Diese Frage stellte mir gestern jemand, den ich sehr schätze, ein kluger Kopf, gebildet, belesen. Niemals hätte ich ihm einen solchen Satz zugetraut. Aber in der letzten Zeit geschehen immer mehr Dinge, die ich niemals für möglich gehalten hatte. Das fängt bei den Demonstrationen der Pegida an, reicht über den Brexit und die „Säuberungen“ des Herrn Erdogan, und hat seinen vorläufigen Höhepunkt in der Wahl von Herrn Trump gefunden. Im Schreiben fällt mir noch Herr Putin und die Krim ein, aber das ist ja eigentlich schon gar nicht mehr wahr, oder?
Aber was wahr ist, das ist ja genau die große Frage. Im „postfaktischen“ Zeitalter scheinen viele Menschen den Eindruck zu haben, sie könnten sowieso aus der Informationsflut nicht die echten Tatsachen herausfischen und von den gefälschten unterscheiden. Deshalb hätten viele gerne eine vertrauenswürdige Person, die ihnen sagt, was richtig und was falsch ist. Das kann ich gut verstehen.
Nur funktioniert eine Demokratie so eben nicht. Als die AfD das Wort „Lügenpresse“ wieder hervorkramte, fand ich das zwar schlimm, aber du meine Güte: was ist denn schon die AfD? Inzwischen fürchte ich, dass ich mich geirrt habe. Das Misstrauen vieler Leute gegenüber „der Presse“ ist viel größer, als ich mir vorstellen konnte. Was jetzt am Wochenende in Washington passiert ist, ist allerdings derartig grob, dass ich hoffe, dass selbst misstrauische Menschen sich davon nicht täuschen lassen.
Es geht nicht um die Zahl der Jubelnden bei der Amtseinführung. Trump hat seine Wahl in anderen Bundesstaaten gewonnen, nicht in Washington, und nicht alle können sich eine solche Reise leisten – was also soll eine solche Zahl überhaupt aussagen? Es geht vielmehr darum, wie der neue Präsident damit umgeht, wenn die Presse etwas berichtet, was ihm nicht gefällt. Anstatt die geschätzte Zahl von 250.000 einfach souverän und unkommentiert stehenzulassen, setzt Herr Trump seine gefühlte Wahrheit von 1,5 Mio dagegen und bezichtigt „die Medien“ der Lüge. Sein Sprecher Sean Spice sagt, er werde „die Medien zur Rechenschaft ziehen“.
„Die Medien?“ In der Schule hat man uns erzählt, dass es keine objektive Berichterstattung gibt. Jedes einzelne Medium berichtet aus seiner Perspektive. Und jede Zeitung, jeder Fernseh- und jeder Radiosender hat eine Mission, eine politische Ausrichtung, eine Adressatengruppe im Visier. Jedes Foto hat eine Aussageabsicht. Das ist keine Manipulation, sondern liegt in der Natur der Sache – niemand von uns ist objektiv, jede und jeder von uns ist ein Subjekt und deshalb zwangsläufig subjektiv. Selbst wenn Journalisten sich um Neutralität bemühen sollten, können sie also gar nicht wirklich objektiv sein.
Was ist da zu tun? Eigentlich müsste man ständig verschiedene Medien vergleichen. Heute habe ich das gemacht, weil ich diesen Text schreiben wollte. Ich habe zu diesem Thema Radio gehört, fünf verschiedene Zeitungen und zwei online-Nachrichtenportale gesichtet und folge Herrn Trump seit heute sogar auf Twitter. Diese Zeit hat man natürlich normalerweise nicht, aber das ändert nichts daran, dass nicht „die Medien“ schuld daran sind, wenn wir ein falsches oder einseitiges Bild der Wirklichkeit bekommen. „Die Medien“ sind höchst unterschiedlich in ihrer Machart und in ihrer politischen Ausrichtung. Einzelne Medien verbreiten Stimmungsmache bis hin zu gefälschten Nachrichten. Aber insgesamt „die Presse“ zu verleumden, halte ich für gefährlich, weil es uns Wählern suggeriert, wir seien arme Opfer, hilflos einer Übermacht ausgeliefert. Wenn Herr Trump in seiner Pressekonferenz dem CNN-Reporter sagt „Sie sind fake-news“, so ist das eine für mich schwer verständliche Verdrehung der Tatsachen. Fake-news sind doch bewusst gefälschte Nachrichten, so wie auch die Lügenpresse eine gleichgeschaltete Presse ist, die gezielt die Unwahrheit verbreitet.
Wer sich die Mühe macht, verschiedene Medien zu vergleichen, der kann feststellen, dass in unserem Staat die vierte Macht funktioniert. Und diese Verantwortung haben wir als Bürger einer Demokratie, die nimmt uns niemand ab. Normalerweise, wenn verschiedene Politiker in respektvoller Auseinandersetzung ihre Positionen vertreten, dann ist es nicht so schwer, das auch in der (freien) Presse zu verfolgen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Je dreister demokratisch gewählte Politiker allerdings lügen und je weniger die Männer und Frauen an der Spitze der Regierung die freie Presse als notwendiges Korrektiv begreifen, je mehr sie sie als Bedrohung betrachten und bekämpfen, desto größer wird unsere Verantwortung als Wähler, aufzuwachen und genau hinzusehen. Damit bin ich wieder beim Anfang: Ja, ich vertraue unserer Presse. Es gibt zwar auch „Hofberichterstattung“ und wirtschaftliche Abhängigkeiten, aber insgesamt ist unsere Presse frei. Sie ist vielseitig und bietet mir die Möglichkeit, mich umfassend zu informieren. Ich muss es nur tun.