Heute morgen habe ich eine Predigt gehört, die mir einen überraschend neuen Blick auf unsere Religion erlaubt hat. Nach 20 Jahren als Berufskatholikin ist sowas selten und wenn es passiert immer wieder sehr schön. Deshalb würde ich den zentralen Gedanken hier gerne aufgreifen – und weiterdenken.
Es ging um das Magnificat, den Lobgesang Marias, der am heutigen Hochfest – Aufnahme Mariä in den Himmel – als Evangelium gelesen wird. Da heißt es bei Lukas, direkt im ersten Kapitel, dass Maria gesagt bekommt, sie werde dieses besondere Kind gebären. Sie sagt „Ja“ und läuft anschließend zu ihrer Verwandten Elisabeth. Mit irgendwem muss sie darüber sprechen, sie ist ja noch jung, die erste Schwangerschaft, alles so seltsam und verwirrend… Als sie die ältere Frau trifft, sagt die, was der Engel auch schon gesagt hatte: „Du bist gesegnet.“ In diesem Moment kann Maria endlich jubeln.
Und sie lobt Gott! Sie betet das Magnificat „Meine Seele preist die Größe des Herrn“, das im Wesentlichen aus 10 Aussagen über Gott besteht. Hier wird deutlich, dass Gott uns mit seiner Liebe zuvorkommt. In anderen Religionen geht es darum, was der Mensch für Gott tut, im Gehorsam tun muss. Im Christentum wird immer wieder betont, was Gott für uns Menschen tut. Der alte Bund des Judentums z.B. stellt die zehn Gebote, den Dekalog, auf: Du sollst nicht… Zwar gründen auch diese Gebote auf einer Befreiungstat Gottes: er hat das Volk Israel aus der Gefangenschaft geführt. Und natürlich gilt der Dekalog auch für uns.
Doch die Schwerpunktsetzung ist im Christentum anders. Der „Dekalog Marias“ (so heute in der Predigt), der am Anfang des Evangeliums steht und den neuen Bund prägt, ist ein einziger Lobpreis. Und während es in anderen Religionen viel um Gebote und Opfer geht, um Riten, die genau befolgt werden müssen, weil sie von Gott gegebene Vorschriften erfüllen, ist das Christentum von all dem befreit. Christus hat nur ein einziges Opfer gebracht – sich selbst – und damit alle weiteren überflüssig gemacht. Jesus, der menschgewordene Gott selber, hat sich über religiöse Vorschriften hinweggesetzt, weil es darauf nicht ankommt. Wichtig ist, dass Gott uns liebt, dass er uns entgegenkommt. Wir antworten nur auf diese Liebe – das Christentum ist eine Religion, in der es um Beziehung geht. Sein Wesen ist der Dank für die unverdiente Gnade der Erlösung.
Eigentlich ist das nichts Neues – aber verbreitet ist diese Ansicht nicht unbedingt. Ich finde es tragisch, dass unsere Kirche jahrhundertelang so getan hat, als hätte sie diese befreiende Botschaft nicht verstanden. Die Kirche hat immer wieder ihre Macht missbraucht und sich damit weit vom Evangelium entfernt. Aber heute könnte es anders sein. Vor gut 50 Jahren hat die katholische Kirche sich geöffnet, eine Wende vollzogen. Heute könnten wir unseren Glauben frei leben und unseren Gottesdienst als freiwillige Antwort auf die Liebe Gottes verstehen, die er uns zuerst geschenkt hat. Aber tun wir das?
Die Antwort darauf gibt es morgen, sonst wird dieser Text zu lang…