Nun führt kein Weg mehr an der Erkenntnis vorbei: unsere Kirche ist nicht systemrelevant.
Eigentlich glauben wir das ja nicht, wir halten uns für unersetzlich. Aber siehe da: der Staat pfeift, die Kirche hört, schwupps, alle Gottesdienste fallen aus. Und? War da was?
Vielleicht ist die „Systemrelevanz“ ja eher eine Frage der Perspektive. Was ist schon wichtig für das System? Ich meine, Ostern z.B. wird stattfinden, mit oder ohne öffentliche Gottesdienste. Das beweisen die Schokoladenhasen in den Supermärkten – die sind nämlich systemrelevant. Also, die Supermärkte. Die wirklich wichtigen Dinge (Schokohasen) lässt sich unsere Gesellschaft nicht nehmen.
Und die Gottesdienste?
Finden ja statt! Im Internet. Alle streamen jetzt. Viele sogar erstaunlich gut, über die livestreams meiner Pfarre z.B. kann man nicht meckern. Respekt, Kollegen! Und wer das nicht mag, findet im Fernsehen oder Internet auch die Messe aus dem Kölner Dom und aus dem Vatikan usw….
Diese Übertragungen finde ich ausgesprochen wichtig. Gerade für ältere Menschen sind sie oft – nicht erst jetzt in der Corona-Krise – die einzige Möglichkeit, einen Gottesdienst mitzufeiern. (Diese Senioren sind allerdings häufig nicht so selbstverständlich im Internet unterwegs wie die Generation ihrer Kinder und Enkel, die jetzt die ganzen livestreams drehen. Ich fürchte, dass viele der neuen Übertragungen ihr Zielpublikum also gar nicht erreichen. Aber das nur in Klammern.)
Aber ist das wirklich schon alles, was unsere Kirche ausmacht?
Ich rede jetzt nicht von der Caritas und den Bildungseinrichtungen. Ich würde mal sagen, hier sind wir sogar wirklich „systemrelevant“, zumindest wo Kirche noch Krankenhäuser und Altenheime betreibt, natürlich die eigentlichen Caritassozialstationen, aber auch in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Auch Notruftelefone haben gerade Hochkonjunktur, die häusliche Gewalt steigt nämlich. Da und an vielen anderen Orsten ist Kirche schon gut im Einsatz, wenn man es auch nicht immer sieht.
Aber wir reden ja von unserem „Kerngeschäft“, von unserem „Alleinstellungsmerkmal“, der Liturgie. Jetzt sagen die einen: warum hat sich die Kirche nicht gewehrt? Niemals hätten wir uns die öffentlichen Gottesdienste so komplett verbieten lassen dürfen!
Da ist was dran. Ich wundere mich auch, dass so gar nichts möglich sein soll. Wenn ich noch mal auf meinen Schokohasen zurückkommen darf: wenn ich den kaufe, komme ich sowohl der Kassiererin als auch mehreren anderen Kunden zwangsläufig nahe. In einer normalen Werktagsmesse muss ich mich nur in die erste Reihe setzen und habe deutlich mehr als zwei Meter Sicherheitsabstand in alle Richtungen… Aber gut. Ich will da nicht rummäkeln, die Entscheidungen sind getroffen.
Bleibt die Frage: was tun wir für unseren Glauben, wenn wir uns nicht in der Kirche treffen dürfen? Und jetzt, genau an diesem Punkt, macht sich bei mir Enttäuschung breit. Das Einzige, was uns (liturgisch) einfällt, ist die Frage nach den Sakramenten? Wir verlegen die Messe auf den Bildschirm und lesen Texte über die geistige Kommunion. In Italien gehen Priester mit der Monstranz durch leere Straßen. Andere diskutieren, wie man Beichte hört und die Krankensalbung spendet unter Beachtung der Hygienevorschriften. Ich will all das nicht schlechtmachen, es sind berechtigte Fragen und Ideen – aber solche von Priestern! Hat unsere Kirche wirklich nicht mehr zu bieten, haben wir gar nichts dazugelernt in den letzten Jahren und Jahrzehnten?
Doch! Überall ploppen kreative Ideen und Initiativen auf. Hausgottesdienste werden entworfen und geteilt, so dass Familien und Hausgemeinschaften unter sich feiern können: mit Liedern, Bibeltexten, Impulsfragen, für die Kinder was zum Basteln, für die Jugendlichen ein Video. Gemeinden packen „Ostertüten“ oder verteilen gesegnete Palmzweige. Die Menschen habe so viele gute Ideen!
Was mir fehlt ist die Erkenntnis, dass auch das alles Gottesdienst ist.
Wenn ich Oma Schmitz eine „Ostertüte“ vor die Tür stelle – mit frommen und lustigen Texten, mit einer Osterkerze und noch mehr – dann ist das relevant. Für das System? Für die Gesellschaft! Und vor allem für unsere Kirche: ob wir sowas fertigbringen oder nicht, daran wird sich entscheiden, ob die Menschen uns noch brauchen, wenn das alles hier vorbei ist.