Weihnachten ohne Gottesdienst
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Revolution auf katholisch
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Und wieder neue Schlagzeilen! Für einen kurzen Moment konnte man meinen, die Kirche habe Ruhe. Wann war das? Als die schrecklichen Vorfälle in Lügde und Bergisch Gladbach aufgedeckt und vor Gericht gestellt wurden? Als nach und nach das Ausmaß deutlich wurde und der Blick darauf fiel, dass sexuelle Gewalt an Kindern im großen Stil und organisiert in Familien stattfindet? Ja, ich glaube, in diesen Monaten war es anders. Jetzt scheinen die Medien in ihrer Darstellung lieber wieder zur Kirche zurückzukehren.

So sitze ich also da mit all den Schlagzeilen über meine Kirche. Über Priester und Bischöfe, die Dinge getan haben, die man sich manchmal kaum vorstellen kann. Über Menschen, die davon gewusst haben ohne einzugreifen oder die sogar zu MittäterInnen geworden sind. Nicht alles ist plausibel, der eine oder andere wird später, nachdem er längst durch die Öffentlichkeit verurteilt worden ist, von den Gerichten freigesprochen, aber oft genug, nein, viel zu oft, sind die Vorwürfe eben berechtigt.

Ist das noch meine Kirche? Wie kann ich noch darin bleiben? In meinem Fall stellt sich die Frage etwas anders als bei anderen. Ich habe in meinem Orden die Ewigen Gelübde abgelegt, ich kann nicht so einfach austreten. Es ginge zwar, aber es würde mein Leben weit mehr verändern als bei anderen. Insofern ist die Frage einigermaßen ernst gemeint, und ich habe Antworten gesucht.

  • Wäre Kirche für mich in erster Linie die Hierarchie von Papst, Bischöfen und Priestern, dann kämen mir Zweifel.
    Ja, ich finde unseren Papst prima. Bei den Bischöfen sehe ich es wie bei den (anderen) Politikern: die einen sind so, die anderen so. Über manche rege ich mich auf, bei anderen weiß ich, dass sie ihr Hirtenamt ernst nehmen und sich nach bestem Wissen und Gewissen bemühen. Und die Priester? Ich kenne so viele integre und tolle Priester, gute Seelsorger, die sich mit ganzer Kraft für die Menschen einsetzen!
    Aber all das nützt nicht viel, bzw. es ist nicht genug, wenn immer mehr Verbrechen bekannt werden und wenn deutlich wird, dass es ein System von Vertuschung gegeben hat. Nein, wäre ich wegen dieser Hierarchie und aus Ehrfurcht vor dem priesterlichen Amt katholisch, dann würde ich vielleicht wirklich gehen.
  • Wäre Kirche für mich in erster Linie eine Institution der Nächstenliebe, dann kämen mir Zweifel.
    Die Kirche hat im Laufe der Jahrhunderte Unglaubliches geleistet, überall auf der Welt. Christen haben Krankenhäuser und Schulen gebaut und jede Art von caritativen Einrichtungen für die Bedürftigen. Oft waren sie damit die ersten, in manchen Ländern sind sie damit immer noch die Einzigen oder besetzen Nischen, wo der Staat die Organisation nicht hinbekommt oder kein Interesse hat oder die einheimische Hauptreligion eben die Fürsorge für die Armen nicht als Ideal ansieht. Das alles finde ich klasse.
    Aber ich kann und will nicht die Augen davor verschließen, dass bei dieser Arbeit, in all diesen vielen Institutionen, die entstanden sind, eben nicht alles Gold war. Vor allem gab es immer wieder Überforderung und daraus resultierendes Fehlverhalten, aber es gab auch echten Sadismus und Machtmissbrauch. Nein, wäre ich nur wegen der caritativen Institutionen katholisch, dann würde ich mich sicher distanzieren.
  • Wäre Kirche für mich in erster Linie die Feier der Liturgie, dann kämen mir Zweifel.
    Ich liebe unsere Liturgie! Jetzt im Advent und mit den Corona-Einschränkungen merke ich besonders, was mich berührt und was ich vermisse. Glauben muss man feiern, gerade das, was man nicht versteht oder in Worten ausdrücken kann.
    Aber unsere Liturgie ist stark mit dem Priester verbunden. Das müsste nicht so extrem sein, es gäbe eine Fülle von Möglichkeiten, die wir aber nicht nutzen. Früher war das kein Problem für mich, aber inzwischen wird es das mehr und mehr. Nein, wäre ich nur wegen der Liturgie katholisch, wäre ich jetzt ernsthaft in der Krise.
  • Was bleibt dann???
    Die Kirche ist für mich in erster Linie die Versammlung der Gläubigen, das wandernde Gottesvolk. Gott selbst ruft uns zusammen, wie Jesus seine Jünger und alle möglichen Menschen aufgefordert hat, ihm zu folgen. Sie haben das in unterschiedlicher Weise getan: die einen haben alles für ihn aufgegeben, andere haben das Geschehen eher skeptisch aus der Distanz verfolgt – und doch große Predigten und Wunder erlebt. So ist Kirche auch heute für mich: ein bunter Haufen sehr unterschiedlicher Menschen, die eigentlich nur eines vereint: dass sie von Gott gerufen sind, sich in seinem Namen zu versammeln. Alles andere, die Liturgie, die Caritas und die Organisation, sind nur Folgen davon.

Ja, ich leide manchmal unter der äußeren Gestalt dieser Kirche. Aber im Kern ist sie von Gott selber gestiftet. Er ruft mich in diese Gemeinschaft. Wenn ich mir das klar mache, ist es keine Frage mehr: das ist meine Kirche. Ich kann weder austreten noch mich distanzieren. Ich kann nur nach Kräften an meinem Platz versuchen, sie zu der Gemeinschaft zu machen, die Gott haben will.

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