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Ecke stehen

Neulich sah ich im Netz ein Video von einem Kind, etwa 2,5 Jahre, das in der Ecke stehen musste. Es hatte seinen Bruder geschlagen und der Vater sprach mit ihm, ob es wüsste, dass das böse war und dass es sich jetzt entschuldigen sollte.

Nun kann man über das in der Ecke stehen so oder so denken. Ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt, aber es scheint Menschen zu geben, für die das ein normales Erziehungsmittel ist. Sei‘s drum, das ist hier nicht mein Thema. Mir geht es um folgendes:

Das Kind hat etwas falsch gemacht und soll verstehen, dass es eine Grenze überschritten hat. Das ist richtig und für ein so kleines Kind ein wichtiger Moment. Außerdem ist er mit starken Gefühlen verbunden. Offensichtlich ist das Kind zuerst beschämt und traurig, auch unsicher. Dann, als der Vater zur Versöhnung auffordert, strahlt die Kleine und läuft zum Bruder, um ihn zu umarmen.

Abgesehen vom Ecke stehen finde ich die Art, wie der Vater mit der Kleinen umgeht, gar nicht so verkehrt. Er spricht ruhig und freundlich, das Ganze dauert auch nur eine halbe Minute. Was mich aber fassungslos macht, ist die Tatsache, dass er in diesem wichtigen Moment gar nicht mit seiner Aufmerksamkeit bei seinem Kind bleibt – sondern das Ganze filmt!

Wieso?

Wenn ich etwas filme, denke ich dabei daran, wem ich die Aufnahme später zeigen kann. Das war hier sicher nicht geplant. Vielleicht hat der Vater die Kinder beim Spielen gefilmt, bevor sie in Streit gerieten und hat dann einfach weiterlaufen lassen. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, wie es überhaupt zu diesem Video kommt. Aber selbst, wenn ich so sehr daran gewöhnt bin, meinen Alltag zu filmen, dass ich auch noch draufhalte, wenn mein Kind weinend und beschämt in der Ecke steht – gibt es dann nicht irgendwo eine innere Barriere, die mir sagt: „Aber für die Öffentlichkeit ist das nichts“?

Offenbar gibt es diese Barriere nicht automatisch. Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre und ein Recht am eigenen Bild, so wie Erwachsene auch. Das scheint nicht jedem bewusst zu sein. Aber so richtig erschreckt habe ich mich, als mir klar wurde, dass auch in mir eine Hemmschwelle verschwunden ist, nämlich die Hemmung, mir eine solch intime Szene aus dem Privatleben fremder Menschen anzusehen. Früher hätte man jemanden, der das tut, einen Voyeur genannt – und das war nichts Gutes.

Natürlich weiß ich, dass es viel Schlimmeres im Netz gibt als Kleinkinder, die in der Ecke stehen. Trotzdem: Ich werde künftig besser auf meinen Medienkonsum achten. So geht das nicht!

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