Eben habe ich gelesen, dass in Hampshire (Großbritannien) ein anglikanischer Priester Kindern ihren Glauben an den Weihnachtsmann genommen hat. Er war zu Besuch in einer Grundschule und sollte mit den 10- und 11jährigen eigentlich nur über die christliche Weihnachtsgeschichte sprechen. Aber dann fügte er noch hinzu, dass es den Weihnachtmann nicht gebe, und dass es die Eltern seien, die die Geschenke bringen. Eines der Kinder zitiert ihn so: „Ihr seid jetzt alle in der sechsten Klasse, jetzt sind wir mal ehrlich: Santa ist nicht echt.“ Die angeblich so mittelalterliche Kirche als Aufklärer! Das könnte man als Kuriosität abtun, wenn da nicht die Reaktionen der Eltern, der Schule und der Diözese wären. Und da komme ich aus dem Kopfschütteln nicht raus. Wo fange ich an?
Die Eltern
Sind empört und wütend, finden das Verhalten des Pfarrers „widerlich“. Eine Mutter hofft, er werde nie wieder in die Nähe ihrer Tochter kommen! Ein anderes Elternteil meint, es „habe Glück“, dass ihr Kind doch immer noch „daran glaubt“, doch viele Eltern hätten es ihren Kindern „beichten“ müssen. Ich lese das und denke, wie lange wolltet ihr mit der Beichte warten? Bis ihr mit ihnen auch über Pille und Kondome sprechen müsst? Es geht aber noch besser:
Die Schule
Lädt den Pfarrer vom geplanten Adventsgottesdienst aus und schreibt an die Eltern: den Kindern werde vermittelt, dass „alle Geschichten und Legenden um Weihnachten“ legitim seien und dass „das, was in eurer Familie geglaubt wird, genauso wichtig und genauso richtig als christliche Weihnachtsgeschichte ist“. Nun, wenn die Schule die Erzählung vom Weihnachtsmann legitim findet, okay. Wichtig ist sie zweifellos auch, wie hier gerade bewiesen wird. Nur: richtig ist sie nicht. Natürlich ist die Weihnachtsgeschichte, so wie sie in der Bibel erzählt wird, eine Legende, an der nicht viel Wahres ist. Nicht viel, aber eben doch ein kleiner wahrer Kern: Volkszählung unter Kaiser Augustus und Jesus von Nazareth, beides historisch. Und was aus diesem Jesus später wurde, hat in 2.000 Jahren unbestreitbar die Welt verändert. Der Weihnachtsmann bezieht seinen historischen Wahrheitsgehalt hingegen aus dem Jahr 1931, als die Firma Coca Cola der Sagenfigur (die es in unterschiedlicher Form gab) aus Werbezwecken ein Outfit in den Farben ihres Corporate Designs verpasste. Diese Figur als genauso wichtig und richtig wie Jesus von Nazareth darzustellen, finde ich … kühn.
Fehlt nur noch:
Die Diözese
Anstatt sich hinter ihren Pfarrer zu stellen, entschuldigt sie sich für ihn. Er entschuldigt sich natürlich auch, bei allem und jedem. Ebenso machte es übrigens ein italienischer Bischof 2021 in einem ganz ähnlichen Fall . Und ein amerikanischer Bischof 2018 in einer katholischen Schule. Alle geraten in den Verteidigungsmodus, erklären, relativieren…
Ich bin kein Kulturpessimist. Dennoch habe ich mich beim Lesen unwillkürlich gefragt, was ich in meinen Schulgottesdiensten und Familienmessen alles erzählt habe. Wenn ich über die Weihnachtsbotschaft oder über den Heiligen Nikolaus spreche, kommen bei mir genau die gleichen Themen vor wie bei den genannten Geistlichen. Nikolaus und Jesus sind historische Figuren – das ist mir ganz wichtig, und die Kinder fragen auch manchmal danach. Ich glaube nicht, dass ich das mal für einen Seitenhieb gegen den Weihnachtsmann genutzt habe, ich bin da eher vorsichtig. Aber diese Artikel verstärken meine Abneigung gegen diese Lüge enorm. Wenn man kleinen – wirklich kleinen! – Kindern etwas vorflunkert, okay. Ist ja irgendwie auch süß. Aber sobald die Kinder die magische Phase hinter sich lassen (normalerweise etwa mit 5 Jahren) und anfangen, Zusammenhänge besser rational zu durchschauen, finde ich es extrem… erstaunlich… dass Eltern für sie ein komplexes Lügengebilde aufrechterhalten.
Schade, dass sie nicht die christlichen Legenden aushalten. Mit ihnen kann man erwachsen werden, auch wenn man dann nach und nach versteht, dass z.B. die Geburt Jesu wahrscheinlich ganz anders war. Dass Ochs und Esel im Stall von Betlehem symbolisch gemeint sind, die Hirten und die drei Weisen auch, usw. – so bleibt doch der wahre Kern, der allem anderen seinen Sinn und seine Legitimität gibt.