Seit einigen Jahren gestalte ich in unserer Pfarre einen großen Teil der Familienmessen, daher fällt mir nun auch zum dritten Mal die Familienchristmette zu. Und damit habe ich das gleiche Problem wie alle anderen, die am Heiligabend einen Gottesdienst mit ihrer Gemeinde feiern: was erzählt man nur zu einem Evangelium, das alle auswendig kennen? Nun, in einem Familiengottesdienst sollen die Kinder nicht zu kurz kommen, deshalb habe ich mich für Harry Potter entschieden!
Ich bin darauf gekommen, weil mir vor einiger Zeit klar geworden ist, dass viele Kinder (und auch ihre Eltern?) heute nicht mehr wissen, dass Jesus von Nazareth eine historische Figur ist. Seit mich ein Kind im Schulgottesdienst darauf angesprochen hat, lässt mich das nicht mehr los. Denn wenn ich nicht weiß, dass Jesus wirklich gelebt hat, dann müssen mir doch sämtliche Erzählungen des Evangeliums ziemlich albern vorkommen. Unsere Kinderzimmer sind geflutet von einer Vielzahl von Fantasyfiguren. Lauter Helden und Heldinnen mit Superkräften tummeln sich da. Fliegen oder zaubern ist das mindeste! (Harry Potter kann natürlich beides.) Dazwischen kommt im Schulgottesdienst dann eine lahme Geschichte von der Heilung eines Blinden. Wie soll ein Kind Fiktion und Realität unterscheiden können?
Heute Abend werde ich den Kindern also erzählen, dass Jesus echt war und dass man das auch beweisen kann. Das Problem dabei: vieles in der Bibel ist natürlich nicht „echt“. Die ganze Kindheitsgeschichte im Lukasevangelium ist wahrscheinlich mehr oder weniger frei erdichtet. Ich sage nicht „erfunden“, denn was die Evangelien uns erzählen, hat meistens eine tiefere Bedeutung. Wenn Lukas schreibt, dass die Hirten die ersten sind, die das neugeborene Jesuskind begrüßen, so haben wir keine Ahnung, ob das den knallharten Fakten entspricht. Aber es entspricht der Botschaft des erwachsenen (echten) Jesus von Nazareth: die Armen und von der Gesellschaft Ausgestoßenen kommen bei ihm zuerst.
Wenn Lukas von Engeln schreibt, so ist das ein Glaubensbekenntnis: dieser Jesus kommt von Gott. Und er legt ihnen in den Mund: Jetzt ist Friede auf Erden. Das hat auch niemand wörtlich überliefert! Aber es drückt eine Wahrheit aus: Jesus hat uns Frieden gebracht. Er hat den Menschen die Erkenntnis geschenkt, dass sie sich nicht mit Gott versöhnen müssen. Gott liebt uns, auch ohne Leistung, auch ohne Opfergaben im Tempel. Wir brauchen keine Angst vor ihm zu haben. Wenn wir dieser Botschaft glauben, haben wir Frieden mit Gott.
Die andere Art des Friedens ist die der Menschen untereinander. Die kann Jesus uns nicht schenken. Er konnte uns nur sagen und vorleben, wie wir miteinander umgehen sollen. In zwei Sätzen zusammengefasst: Liebe deinen Nächsten und liebe deine Feinde! Es wäre toll, wenn Jesus als großer Zauberer mit einem Schnippen seines Zauberstabes Frieden über die Welt gebracht hätte. Aber sogar Harry Potter musste hart kämpfen, bis er das Böse besiegt hatte (sieben Bände lang), und der ist nur erfunden. Jesus ist echt und bringt echten Frieden. Er hat dafür keinen Zauberstab, nur uns. Wir müssen diesen Frieden machen, am besten direkt jetzt an den Feiertagen: Geduld üben, auch mal eine Bemerkung runterschlucken, freundlich sein auch zu dem, den ich eigentlich nicht leiden kann… Das kann anstrengend sein, und es wird nur ein kleiner Friede. Es rettet nicht Jesu Geburtsort Bethlehem, der heute im Westjordanland liegt und inzwischen völlig abgeriegelt ist. Es rettet auch nicht die vielen, vielen Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt. Und dennoch bleibt uns kein anderer Friede als der, den wir selber machen – heute, hier. Der ist dafür echt.