Frag doch mal die Schwester, Teil 14:
Ist die Natur nicht grausam?
Anlass für diese Frage war der arme Löwe Cecil, über den z.Zt. so viel geschrieben wird. Nachdem er aus seinem Reservat gelockt und von einem Jäger rein zum Vergnügen, oder sagen wir mal aus sportlichem Ehrgeiz getötet wurde, braucht sein Rudel einen neuen Anführer. So weit, so gut. Aber was macht das Alphatier in so einem Löwenrudel, wenn es den Kampf um die Vorherrschaft gewonnen und seine Konkurrenten besiegt hat? Es beißt alle Jungen seiner Konkurrenten tot. Denn die könnten ihm schließlich auch gefährlich werden.
Und da setzt unsere Frage an: ist das nicht grausam?
Ja und nein.
Wieder möchte ich zuerst den Begriff klären, denn er hat
zwei Bedeutungen. Man kann „grausam“ benutzen im Sinne von „durch eine derartige Gefühlskälte, Skrupellosigkeit und meist Reuelosigkeit gekennzeichnet , dass es Grauen (im Sinne von Furcht, Entsetzen) hervorruft“. Oder man benutzt das Wort adverbial, also für eine Tätigkeit. Die kann dann von einer derartigen Intensität sein, dass es starkes Leiden oder Unwohlsein hervorruft. Im ersten Fall hat „grausam“ eindeutig eine moralische Komponente. Im zweiten nicht unbedingt.
Ich neige dazu, das Wort grausam moralisch zu verstehen. Cecils Nachfolger ist nicht grausam, wenn er die Jungen seiner Konkurrenten totbeisst. Er ist weder gefühlskalt, noch skrupellos oder reuelos. Er folgt seinem Instinkt, der sein Überleben sichert. Der Zahnarzt, der Cecil erschossen hat, den würde ich schon viel eher als grausam bezeichnen, denn der hat unnötiges Leid verursacht zum eigenen Vergnügen. Das nenne ich skrupellos und gefühlskalt – eben grausam.
Wie ist es nun mit der Natur insgesamt? Nehmen wir die moralische Komponente raus und sagen wir der Klarheit halber „schrecklich“. Ja, die Natur ist wunderschön – aber es gibt eben auch diese andere, schreckliche Seite. Die Natur ist ein Kreislauf, ein ständiges Werden und Vergehen. Es kann kein neues Leben in all seiner Schönheit entstehen und seine Fülle entfalten, wenn nicht Altes vergeht und stirbt. Einfachstes Beispiel sind die Blätter, die im Herbst von den Bäumen fallen. Sie müssen fallen, nur so können neue nachkommen, nur so kann der Baum insgesamt wachsen – bis er irgendwann als ganzer stirbt. Bei uns Säugetieren fällt uns dieser Gedanke schwer, und wenn ein Löwe so brutal zur Sache geht, finden wir das fürchterlich – zu Recht! Ich meine: jeder Nichtvegetarier sollte vielleicht mal kurz innehalten, bevor er das ständige Fressen und Gefressenwerden in der Tierwelt als brutal abtut. Aber selbst der Körper eines Veganers ermordet permanent massenweise Bakterien und Viren – und ich für meinen Fall weine keine Träne um die Verlierer dieses ständigen Überlebenskampfes. Ist das jetzt grausam?
Ja, es ist nicht schön, dass wir nicht im Paradies leben, wo der Wolf beim Böcklein liegt und alle sich in Liebe und Harmonie verstehen. Das ist unsere Verheißung erst für das Ende der Zeit. Doch auch die Natur, die wir jetzt haben, ist von Gott geschaffen und von seinem Geist durchweht. Wir können seine Spuren darin überall finden. Es geht der ganzen Schöpfung wie uns Menschen: wir sind von Gott geliebt und gut geschaffen, haben uns aber vom Ursprung entfernt und warten jetzt voller Sehnsucht auf die Erlösung. Der Apostel Paulus sagt das im Brief an die Römer so: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Kapitel 8, 18ff)
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