Papst Franziskus hat gesagt*: „Luther hat einen großen Schritt getan, als er das Wort Gottes in die Hände des Volkes legte.“
Ich kenne den Kontext dieses Zitates nicht, aber empfinde die Aussage als positiv und kann nur zustimmen. Morgen ist es 499 Jahre her, dass Luther seine 95 Thesen veröffentlichte, und ich bin froh, dass unsere Kirchenoberen auf beiden Seiten inzwischen solche Töne anschlagen.
Ich bin in einer evangelischen Stadt und in einer teilweise evangelischen Familie aufgewachsen, deshalb war für mich der respektvolle und freundliche Umgang zwischen den Konfessionen immer normal – aber gleichzeitig nicht selbstverständlich. Noch in der Generation meiner Eltern wurde den Kindern beigebracht, sie dürften in einer Kirche der „anderen“ nicht beten. Heute beten wir gemeinsam, manchmal immer noch etwas unbeholfen, aber jedenfalls in dem Bewusstsein, dass wir zusammengehören als Kinder eines Vaters.
In diesem Sinne lasse ich mich gerne von Martin Luther anregen. Der Kirche, die er damals kritisierte, würde ich auch nicht folgen wollen. Und immer wieder neu sind es zwei Punkte seiner Lehre, die mir besonders wichtig sind:
sola scriptura – nur das Evangelium ist die Grundlage unseres Glaubens. Ja, bei uns Katholiken kommt die Tradition hinzu mit allerlei anderen Aussagen, die auch richtig und wichtig sind, aber mehr und mehr kommen auch wir „back to the roots“. Was nicht irgendwie in der Bibel verwurzelt ist, ist auch für uns nicht verbindlich. Aber: wann und wo sprechen wir in unseren Gemeinden miteinander über das Wort Gottes? Hin und wieder gibt es Gelegenheiten, sehr kostbar, viel zu selten.
sola gratia – allein durch Gnade sind wir gerettet, wir können uns das Heil nicht erkaufen. Nun könnte man sagen, der Ablasshandel sei ja schließlich abgeschafft, der Punkt sei also abgehakt. Ist er aber nicht. Immer noch und immer wieder hängen wir an unserem Leistungsdenken und meinen, wir müssten uns die Liebe und Gnade Gottes erarbeiten, mit guten Werken oder mit Wohlverhalten. – Keine Chance, sagt Luther. Müssen wir aber auch nicht, denn wir sind schon erlöst, wenn wir Christus nur glauben und vertrauen (sola fide). Dieses bedingungslose Angenommensein ist meiner Erfahrung nach für viele Menschen schwer zu akzeptieren. Umso wichtiger finde ich es, immer wieder davon zu sprechen, dass Gottes Liebe nicht käuflich ist, sondern gratis.
Morgen ist Reformationstag. Ich kann schlecht den Beginn der Kirchenspaltung feiern. Aber ich bin dankbar für alles Gute, dass Martin Luther gewirkt hat, und dafür, dass wir Christen der verschiedenen Konfessionen heute entspannter miteinander umgehen können. Meinen evangelischen Geschwistern wünsche ich einen gesegneten Feiertag!
*zitiert nach der Rheinischen Post vom 30.10.2016
3 Comments
Ich finde, die beiden Konfessionen könnten sich ruhig noch mehr aufeinander zubewegen. Mein Mann und ich merken häufiger mal, welche Unterschiede es noch gibt – er ist Katholik, ich Lutheranerin. Aber ich bin schon froh, dass man sich so viel aufeinander zubewegt hat.
Ich weiß nicht, ob ich das richtig erinnere, aber ich meine, Luther hat damals die (römische) Kirche in ihrer Praxis kritisiert und reformieren wollen, nicht aber spalten.
Ansonsten ist es natürlich ein großer Fortschritt, daß die Konfessionsverschiedenheit in der Regel nicht mehr zu familiären Zerwürfnissen oder Sabotageakten an Feiertagen führt.
Wenn unter den Christen schon kein friedlicher Austausch bei allen gegebenen Auffassungsunterschieden möglich ist, wie soll das dann erst zwischen den verschiedenen Religionen möglich werden?
Mich berührt immernoch sehr die Ringparabel aus „Nathan der Weise“:
Der Gedanke, daß die drei Buchreligionen drei Söhnen eines Vaters entsprechen, dessen Erbe sich in ihrem jeweiligen Lebenszeugnis offenbart.
Und das nicht nur im Respekt den drei Buchreligionen, sondern auch den vielfältigen Anderen gegenüber, selbst, wenn ich sie nicht teile oder verstehe.
Ich glaube, dass ist die eigentliche Tragik jetzt im evangelischen Jubiläumsjahr: Luther hatte so viele gute Gedanken und Impulse, und er stand einer Kirche gegenüber, die er zu Recht kritisierte. Aber faktisch hat sein Versuch, die Kirche zu reformieren, zu einer Spaltung geführt. Kann man das als Katholik feiern?
Heute müssen wir aufeinander zugehen, immer mehr. Ich glaube, dass das noch ein weiter Weg ist, aber anders geht es nicht.
Und die Ringparabel liebe ich auch sehr…