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Neulich hat mich jemand nach Maria Magdalena gefragt, unserer Schutzpatronin. Heute ist ihr Fest, und sie ist uns schon ziemlich wichtig. Allerdings: wenn ich anfange, von ihr zu erzählen, dann beginnt alles mit einem Missverständnis. Maria von Magdala ist in der Bibel die Frau, aus der Jesus sieben Dämonen austreibt, die ihm daraufhin folgt, ihn unterstützt und die schließlich zur ersten Zeugin der Auferstehung wird. So erzählen es mehrere Evangelien.

Die Gründung der Dominikanerinnen von Bethanien beginnt damit, dass Jean Joseph Lataste, ein junger Dominikaner, beim Gebet an einer Magdalenenreliquie eine Eingebung hat: die bekehrte Sünderin wurde zur Heiligen! Also ist Gottes Barmherzigkeit so groß, dass sie jedem Menschen einen Neuanfang ermöglicht. So sollte es auch bei uns Menschen sein. Deshalb gründet er ein Haus, das Haus von Bethanien, wo Frauen, die wie Maria Magdalena gesündigt und sich bekehrt haben, ein neues (Ordens-)Leben beginnen können – zusammen mit anderen, die keine belastete Vergangenheit haben. Sie sollen dort einander Schwestern sein, wie Maria und Martha im biblischen Bethanien.

Das ist wunderbar – nur steht das so gar nicht in der Bibel.

Sind es drei verschiedene Frauen?

Wahrscheinlich sind hier drei Geschichten vermischt worden. Die erste: Eine „stadtbekannte Sünderin“ (also möglicherweise eine Prostituierte) tritt von hinten an Jesus heran, zerbricht ein Gefäß mit kostbarem Öl und salbt Jesus damit die Haare (Evangelien nach Matthäus 26 und Markus 14) bzw. die Füße (Evangelium nach Lukas 7). Diese Geschichte spielt entweder im Haus des Aussätzigen Simon (Mt+Mk) oder im Haus eines Pharisäers (Lk). Bei Lukas weint die Frau und trocknet die Tränen, die auf Jesu Füße gefallen sind, mit ihrem Haar. Die zweite Geschichte (bei Johannes 12) ist ähnlich und doch anders: In Bethanien sind die drei Geschwister Lazarus, Martha und Maria zusammen. Lazarus ist unter den Jüngern und hört Jesus zu, Martha bedient, und Maria nimmt „ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl“, um damit Jesus die Füße zu salben. Auch sie weint und trocknet die Tränen von Jesu Füßen mit ihrem Haar.

Hier gibt es also deutliche Parallelen – aber auch Widersprüche. Außerdem wird Maria von Bethanien eben nicht Maria Magdalena genannt. Wie auch? Maria Magdalena bedeutet Maria von (d.h. aus dem Ort) Magdala – und gerade nicht Maria von Bethanien. Was mache ich nun mit dieser Erkenntnis?

Ich muss sagen: ich liebe Maria Magdalena, und diese Geschichten sind mir alle kostbar. Ich will keine davon missen, nur weil die historisch-kritische Exegese inzwischen festgestellt hat, dass die Theologen und Prediger früherer Jahrhunderte nicht immer sorgfältig genug waren. Man muss sie nur auseinanderdröseln.

Drei Aussagen – drei Wahrheiten

Es bleiben ja alle drei Aussagen wahr. Zum einen: Jesus hat Maria von Magdala befreit – von Dämonen, sagt die Bibel, was auch immer das heißen mag. Krankheit? Zwänge? Besessenheit? Ich bin sicher, dass Gott Menschen befreien kann, habe es selber schon erlebt. Zum zweiten die namenlose Sünderin: viele Menschen haben Jesus verehrt und ihm gedankt, weil sie gespürt haben, dass er sie nicht auf ihre Schuld reduziert sondern ihnen einen Neuanfang schenkt. Auch das passiert heute immer noch und immer wieder – wenn wir es zulassen. Und schließlich die Schwestern von Bethanien, Maria und Martha: sie werden als sehr unterschiedlich geschildert und bilden vielleicht gerade deshalb zusammen mit ihrem Bruder Lazarus einen Haushalt, in den Jesus immer wieder gerne einkehrt. So soll es auch heute sein: wenn wir in unserer ganzen Verschiedenheit dennoch eine Gemeinschaft bilden, wird Jesus in unserer Mitte sein, das hat er uns zugesagt.

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